Eine österreichische Perspektive auf den bevorstehenden 110. Geburtstag des vietnamesischen Generals Võ Nguyên Giáp

Patrick Horvath
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(VOVWORLD) - Glückwünsche aus Österreich.
Eine österreichische Perspektive auf den bevorstehenden 110. Geburtstag des vietnamesischen Generals Võ Nguyên Giáp - ảnh 1Autor Patrick Horvath.

1.    Der Volksheld

Võ Nguyên Giáp[1] wurde am 25. August 1911 in Lệ Thủy im zentralen Vietnam geboren. Er war der Sohn eines Lehrers, der die Autonomie Vietnams gegenüber ausländischer Bevormundung befürwortete. In seiner Jugend besuchte Giáp dieselbe Schule wie der spätere vietnamesische Präsident Hồ Chí Minh. Bereits als Universitätsstudent wurde er aufgrund von politischen Aktivitäten von der französischen Kolonialmacht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er erlangte einen rechtswissenschaftlichen Abschluss an der Universität Hanoi und wurde Gymnasiallehrer für Geschichte. Giáp wurde für die kommunistische Partei aktiv. Als diese 1939 verboten wurde, konnte er nach China entkommen, seine Ehefrau wurde gefasst und starb nach drei Jahren in Haft.

Giáp schloss sich der von Hồ Chí Minh gegründeten vietnamesischen Unabhängigkeitsbewegung Việt Minh an und stieg schrittweise zu ihrem militärischen Anführer auf. Seine militärische Brillanz führte zur Schlacht von Điện Biên Phủ 1954, welche einen entscheidender Sieg über die Franzosen darstellt und ihr Kolonialregime in Vietnam beendete. Im späteren Konflikt mit den USA führte er die Truppen des Nordens zum Sieg und zwang die US-Amerikaner, Vietnam zu verlassen. Im wiedervereinten Vietnam wurde Giáp unter anderem Verteidigungsminister und stellvertretender Premierminister. Giáp starb 2013 im hohen Alter in Hanoi. Heuer, am 25. August 2021, hätte sich der 110. Geburtstag des vietnamesischen Volkshelden gejährt.

2.    Österreich und Vietnam - verschieden, dennoch verbunden

Die Unterschiede zwischen Österreich und Vietnam sind sehr augenscheinlich. Die religiöse Tradition des mitteleuropäischen und südostasiatischen Staates ist mit katholischem Christentum und Buddhismus sehr unterschiedlich. Österreich wird beherrscht vom kühlen und unbeständigen Klima der hohen Berge der Alpen und liebt es daher, Zitrusfrüchte aus wärmeren Regionen wie Vietnam zu importieren. Zusätzlich ist Österreich viel kleiner als Vietnam mit nur 8,9 statt 98,2 Mio. Einwohnern.[2]

Österreichs beachtlicher Wohlstand kommt von seiner hochentwickelten Industrie, die sich sehr von Vietnams weitgehend agrarischem Charakter unterscheidet. Auf der anderen Seite zeigt die Wirtschaft Vietnams eine wesentlich größere Dynamik als Österreichs alternde Gesellschaft.

Was könnten so verschiedene Länder denn nur erdenklich gemeinsam haben?

Ich glaube, dass beide Länder eine ähnliche historische Erfahrung teilen, die ihre kollektive Identität bis heute beeinflusst.

Im 19. Jahrhundert musste auch Österreich gegen das Expansionsstreben Frankreichs in ganz Europa ankämpfen. Der französische Kaiser Napoleon gewann 1805 die Schlacht von Austerlitz und in der Folge fiel das österreichische Bundesland Tirol an das mit Napoleon verbündete Bayern, ein deutsches Königreich nördlich von Tirol. Tirol, zwischen Deutschland und Italien gelegen, besitzt eine strategisch wichtige Lage in Europa. Als die Bayern die Tiroler Männer zur europaweit kämpfenden Armee einzogen, brach ein Volksaufstand aus. Der Anführer des Tiroler Freiheitskampfes war Andreas Hofer,[3] ein einfacher Mann aus dem Volk. Früh verwaist, führte er das Gasthaus seines Vaters und lebte zudem als Wein- und Pferdehändler. Aus der Schlacht vom Bergisel, einem Berg in der Tiroler Hauptstadt Innsbruck, ging er siegreich hervor. In weiterer Folge wurde der Tiroler Aufstand blutig niedergeschlagen und Andreas Hofer wurde auf Befehl Napoleons in der italienischen Stadt Mantua hingerichtet. Bis heute gilt Hofer in Tirol als Volksheld. Nach dem Scheitern von Napoleons Feldzug in Russland konnte Tirol befreit und mit Österreich wiedervereint werden.

Das bekannte Museum “Tirol Panorama”[4] in Innsbruck zeigt heute die Waffen, mit denen die Tiroler gegen die Franzosen kämpften. Es waren Jagdgewehre, landwirtschaftliche Geräte und alles, was man in kurzer Zeit die Hände bekommen konnte. Demgegenüber standen die modernen Gewehre und Bayonette der technisch hochgerüsteten und gut organisierten Armee der Franzosen. Am Ende siegte der Freiheitswille des einfachen Volkes, aber die Opfer waren schrecklich. Die Situation im Vietnamkrieg war sehr ähnlich.

Sowohl Österreich, als auch Vietnam, kennen den Wert der Freiheit gegen Unterdrückung aus der Fremde und haben für sie gekämpft. Heute sind Österreich und Vietnam wichtige internationale Partner. Aufgrund der politischen Arbeit des österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky (1970-1983) gehörte Österreich zu den ersten Staaten weltweit, die Nordvietnam diplomatisch anerkannten. Die Handelsbilanz zwischen Österreich und Vietnam ist aus einer vietnamesischen Sicht stark positiv. Österreich kauft heute vietnamesische Produkte im Wert von jährlich fast einer Milliarde Euro. Österreich hochentwickelte Industrie hat das Potenzial in Zukunft ein wichtiger Investor in Vietnam sein.[5]

3.    Ernst Frey, ein Österreicher kämpft an der Seite von General Giáp

Eng mit General Giáp verbunden war der Österreicher Ernst Frey (1915-1994). Vielen Vietnamesen ist er auch unter dem Namen Nguyễn Dân bekannt. Frey war Kommunist und jüdischer Abstammung und musste aus politischen Gründen vor autoritären Regimen in Österreich fliehen. Er meldete sich zur Fremdenlegion und schloss sich später den Kommunisten und der Việt Minh in Vietnam an. Durch seine militärischen Erfahrungen konnte er am Aufbau der Widerstandsbewegung maßgeblich mitwirken.

Ernst Freys Buch “Vietnam, mon amour” ist eine spannende Autobiographie, die in deutscher Sprache im Wiener Czernin Verlag verfügbar ist. Das nahe Verhältnis zu Giáp wird offenbar, wenn Frey seine innere Rührung beschreibt, als er als Befehl Giáps aufgrund von militärischen Verdiensten mit nur 31 Jahren zum Oberst der vietnamesischen Armee befördert wurde[6] oder wie er als lebendes Schutzschild und Leibwächter Giáp vor herannahenden französischen Truppen schützte.[7]

Frey kehrte später nach Österreich zurück und schrieb kurz vor seinem Tod an Giáp die folgenden bewegenden Worte: “All die Liebe, die ich für Vietnam und sein Volk empfinde, konzentrierte sich gewissermaßen auf Deine Person, und Deine herzlichen Zeilen an mich haben mir immense Freude bereitet. (…) Für mich war Vietnam, trotz der Sprachschwierigkeiten, meine Heimat, die ich 1950 verloren habe. Es war auch das einzige Land, für das ich bereit gewesen wäre, mein Blut zu vergießen.”[8] Die damalige Freundschaft zwischen Frey und Giáp wird auch für künftige Generationen ein wichtiges Bindeglied für die Partnerschaft Österreichs und Vietnams sein.

4.    Der Friede als gemeinsame Vision

Vor fünf Jahren, 2016, besuchte ein parlamentarische Delegation aus Hanoi das österreichische Parlament in Wien.[9] Bei der Begrüßung des vietnamesischen Vizevorsitzenden des Ausschusses für Landesverteidigung, Trần Đình Nhã, erinnerte der österreichische Abgeordnete Harald Troch an die Worte des Volkshelden Võ Nguyên Giáp: "Das Bedeutendste am Vietnamkrieg ist, dass es nie wieder Krieg gibt". Der friedenspolitische Appell Giáps war eine passende Leitlinie zu den besprochenen Themen im österreichischen Parlament, wo es unter anderem um eine friedliche, dialogorientierte Lösung von Gebietskonflikten im Südchinesischen Meer, aber auch um die weitere wirtschaftliche Kooperation mit Österreich ging.

Ich sehe in diesem Ausspruch General Giáps eine große Gemeinsamkeit von österreichischen und vietnamesischen Erfahrungen. Österreich hat die Schrecken zweier Weltkriege erlebt und dazwischen einen kurzen Bürgerkrieg 1934. Diese historische Erfahrung hat Österreich dazu geführt, die Politik der Neutralität in seine Verfassung aufzunehmen. Österreich verfügt nur über eine sehr kleine, rein defensiv agierende Armee und ergreift keine Partei in internationalen Konflikten. Gute Dienste, Mediation oder humanitäre Hilfe werden aber allgemein angeboten.

Vietnam hat seine Freiheit gegen den Kolonialismus erfolgreich verteidigt und das ist sehr wichtig. Die Opfer des Krieges waren sehr groß und das Volk hat sehr gelitten. Ich bin mir sicher, dass es das Bedürfnis jedes Vietnamesen ist, zu verhindern, dass Vietnam jemals wieder ein internationales Schlachtfeld wird. Diese gemeinsame historische Mission verbindet Österreich und Vietnam und ich hoffe, dass eine lange Partnerschaft für den Frieden daraus zwischen den beiden Nationen erwachsen kann.

Zum Abschluss des Artikels möchte ich dem Volk und der Regierung Vietnams herzlich zum Geburtstag ihres Nationalhelden Võ Nguyên Giáp gratulieren. Ich wünsche Österreich und Vietnam von Herzen eine gemeinsame Zukunft in Freiheit, Frieden und Brüderlichkeit.


[1]Lebenslauf von Võ Nguyên Giáp: https://www.britannica.com/biography/Vo-Nguyen-Giap

[2] Nähere Informationen siehe: https://vovworld.vn/de-DE/vietnam-und-partner/die-beziehungen-osterreichvietnam-aussichtsreiche-zusammenarbeit-im-bereich-wirtschaft-und-umwelt-995945.vov

[3]Lebenslauf Andreas Hofer: https://www.geschichte-oesterreich.com/personen/h/andreas_hofer.html

[4]Homepage des Museums: https://www.tiroler-landesmuseen.at/haeuser/tirol-panorama-mit-kjm/

[5]Nähere Informationen siehe: https://vovworld.vn/de-DE/vietnam-und-partner/die-beziehungen-osterreichvietnam-aussichtsreiche-zusammenarbeit-im-bereich-wirtschaft-und-umwelt-995945.vov

[6] Ernst Frey, Vietnam, mon amour, S.201

[7] Ernst Frey, Vietnam, mon amour, S.220

[8] Nachwort zu Ernst Frey, mon amour, S.251

[9] Bericht über den Besuch einer vietnamesischen parlamentarischen Delegation in Wien 2016: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160530_OTS0146/besuch-vietnamesischer-mandatare-im-parlament

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