Deutscher Historiker schätzt den Artikel von KPV-Generalsekretär Nguyen Phu Trong

Manh Hung/ VNA
Chia sẻ
(VOVWORLD) - Anlässlich des bevorstehenden Nationalfeiertags, dem 2. September, hat unser Reporter ein Interview mit dem deutschen Historiker Gerhard Feldbauer über einen aktuellen Artikel von KPV-Generalsekretär Nguyen Phu Trong geführt.
Deutscher Historiker schätzt den Artikel von KPV-Generalsekretär Nguyen Phu Trong - ảnh 1Irene und Gerhard Feldbauer als Auslandskorrespondenten der DDR im Kriegseinsatz in Vietnam. (Foto: Irene und Gerhard Feldbauer)

1. Sehr geehrter Herr Gerhard Feldbauer, wie schätzen Sie den Inhalt des Artikels des Generalsekretärs der KPV über Vietnams Weg zum Sozialismus ein?

Zunächst möchte ich sagen, dass Professor Nguyen Phu Trong mit dem Beitrag in einen Dialog mit dem Volk tritt, seine Meinung zur Fortsetzung des bisher verfolgten Weges zum Sozialismus einholt. In der westlichen Welt, wie in der Bundesrepublik Deutschland, deren führende Kreise Vietnam vorwerfen, es gebe keine Demokratie, es werde diktatorisch regiert, sucht man so etwas vergebens.

Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams, der vom Volk anerkannten führenden Kraft der vietnamesischen Gesellschaft, legt eine umfassende, tiefgehende und sorgfältige Analyse des seit dem Sieg der Augustrevolution 1945 eingeschlagenen Weges vor. Sie geht von der gesellschaftlichen Realität aus und wird mit überprüfbaren Ergebnissen belegt. Der Beitrag bezeugt das beeindruckende politische und menschliche Format eines Politikers, der als Sohn eines Bauern seiner sozialen Herkunft verbunden bleibt. 

An dem behandelten breiten Spektrum unterschiedlicher aber komplexer Fragen  wird für mich, wie ich weiter vorausschicken möchte, erkenntlich, dass die KP Vietnams einen wissenschaftlichen Sozialismus, der auf dem Marxismus  –  dem heutigen Leninismus – beruht, schöpferisch anwendet. Dazu möchte ich einige Aspekte, in denen sich das widerspiegelt, anführen:

Vor einem drei Viertel Jahrhundert siegte in Vietnam im August 1945 die nationale Befreiungsrevolution und am 2. September rief Ho Chi Minh die Demokratische Republik Vietnam aus. Der Beitrag befasst sich also mit  Meilensteinen der vietnamesischen Geschichte, des nationalen  Befreiungskampf, der bis in die Gegenwart sowohl national als auch international wegweisende Lehren und Erfahrungen vermittelt, nicht zuletzt, oder vielleicht besser gesagt, gerade unter dem Gesichtspunkt der schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninismus auf die konkreten Entwicklungsbedingungen des Landes. Wir leben derzeit in einer Etappe der Ebbe des revolutionären Kampfes, in der uns Vietnams Beispiel zeigt, dass der Weg zu einer neuen, von Ausbeutung freien Gesellschaft, auch über Niederlagen und Rückschläge zum Sieg führt.

Mit dem Sieg der Augustrevolution 1945 wurde die ein Jahrhundert vorher über Vietnam errichtete französische Kolonialherrschaft beseitigt und mit der  Gründung der DRV die staatliche Unabhängigkeit wieder hergestellt. Die Augustrevolution war die erste siegreiche nationale Befreiungsrevolution in einem kolonial unterjochten Land unter Führung der Arbeiterklasse mit ihrer kommunistischen Partei an der Spitze.

Diese Revolution geht seitdem Schritt für Schritt den Weg der sozialen Befreiung in der einzig möglichen Form, der des Übergangs zur sozialen Umwälzung, die bis heute ihrem Inhalt nach einer sozialistischen Revolution ist.

Diese Revolution verstand, sich zu verteidigen, was hieß, dass sie den Versuch des französischen Imperialismus, Vietnam erneut seinem Kolonialjoch zu unterwerfen im neuen achtjährigen Befreiungskampf (1946-1954) erfolgreich abwehrte. Als die USA 1956 die Nachfolge Frankreichs antraten und über Vietnam ihre neokoloniale Herrschaft errichten wollten, brachte die DRV der größten westlichen Militärmacht, zuletzt 1975 in der Schlacht um Saigon, eine noch vernichtendere Niederlage bei.

Die große Hilfe des damals existierenden sozialistischen Lagers, darunter modernste konventionelle Waffen aus der UdSSR, die weltweite Solidarität der Völker und Friedenskräfte waren entscheidende Grundlage dieses Sieges. Aber die letztlich ausschlaggebende Bedingung, dass diese Faktoren zur Geltung kommen konnten, war der nicht zu brechende Widerstandswille des vietnamesischen Volkes, der in den Traditionen nationalen und antikolonialen Widerstandes wurzelte, die zu mobilisieren eine kommunistische Partei verstand, die Ho Chi Minh gegründet hatte.

Diese Revolution bewirkte den weltweiten Beginn des Zerfalls des alten imperialistischen Kolonialsystems. 

Mit der 1976 auf dem Weg der Wahl einer Nationalversammlung beschlossenen  Wiedervereinigung zur Sozialistische Republik Vietnam wurde ein Bekenntnis zum gemeinsamen Weg zum Sozialismus abgelegt. Das geschah auch unter dem Gesichtspunkt, dass angesichts der sozial-ökonomischen aber auch politisch-moralischen Zerrüttung Südvietnams nur das nordvietnamesische Entwicklungsmodell dem Land eine Perspektive bieten konnte. Ein weiterer Aspekt war der unter der großen Mehrheit des Volkes vorhandene Drang zur Wiedervereinigung. Befreiung und Wiedervereinigung waren die entscheidenden Motive für den bewaffneten Kampf gegen die USA und Quelle des Sieges gewesen. Es entstand ein enormer Druck auf die Führungen, dem zu entsprechen. Dennoch ging die SRV Schritt für Schritt vor. Ein wirtschaftlicher Umgestaltungsprozess wurde erst 1978 eingeleitet.

Mit der Wiedervereinigung wurde der Konterrevolution im Süden die staatliche Basis entzogen. Man muss daran erinnern, dass das vor drei Jahrzehnten zur  entscheidenden Grundlage dafür wurde, dass die KPV die Niederlage des Sozialismus in Europa 1989/90 überstand. Hoffnungen ihrer Gegner, die Partei werde den Pfad der Sozialdemokratie einschlagen, erwiesen sich als  Trugschluss. Die Partei Ho Chi Minhs und seiner Nachfolger hat sich nicht gewendet. Sie zählt heute 5,1  Millionen Mitglieder. 60 Prozent davon sind Jugendliche. Diese Zahlen strafen die Behauptungen im Ausland, die Jugend interessiere sich nicht für den Befreiungskrieg oder den Sozialismus, Lügen. Wobei sicher nicht auszuschließen ist, dass bei einigen auch eine Rolle spielen wird, dass sie in der Partei ihre berufliche Karriere am besten gesichert sehen.

Die siegreiche Revolution Vietnams ist untrennbar mit Ho Chi Minh verbunden.

Ich möchte hier erwähnen, dass ich und meine Frau Irene, die Fotoreporterin war, während der Arbeit für die Nachrichtenagentur ADN der DDR in der DRV von 1967 bis 1970 das große Glück hatten, Ho Chi Minh mehrmals persönlich zu begegnen. Wenn er mit uns sprach, uns die Hand drückte, uns freundschaftlich umarmte, sich nach unserem Befinden erkundigte, erlebten wir  in einer unvergesslichen Weise die kaum wiederzugebende Ausstrahlung dieser faszinierenden Persönlichkeit, die die Seele des Widerstandes war. Aber auch bei den vielen  Begegnungen, die wir mit den Menschen Vietnams hatten, war er  einfach dabei. Sein Testament, das er vier Monate vor seinem Tod, im Mai 1969, verfasst hatte, ist durchdrungen von der Liebe zu seinem Volk und der unerschütterlichen Gewissheit, dass es bis zum Sieg kämpfen werde. Man möchte fast sagen, dass seine herausragende Führerpersönlichkeit erst nach seinem Tod sichtbar wurde. Denn als er während des erbitterten Befreiungskrieges gegen die USA-Aggressoren und das südvietnamesische Marionettenregime im September 1969 starb, hinterließ er nicht, worauf seine Feinde spekuliert hatten, ein Vakuum, sondern eine kampfgestählte Partei mit einem starken Führungskollektiv, und ein von seinem Unabhängigkeitswillen beseeltes Volk, die sein Werk fortsetzten. Und so ist es bis heute, und es ist völlig richtig, dass Phu Trong ausführt, „auf dem Weg, den Ho Chi Minh und unsere Partei und unser Volk gewählt haben, zu beharren“.

Vietnam ist von einem durch das koloniale Erbe und die Folgen der bis 1975 andauernden US-Herrschaft in Südvietnam wirtschaftlich zurückgebliebenen Land zu einer der dynamischsten Volkswirtschaften der Welt, ja der Welt, das ist nicht übertrieben, aufgestiegen. In den wenigen Jahrzehnten nach seiner Wiedervereinigung schaffte es die ersten Schritte zum Aufbau einer Industriegesellschaft. Der Beitrag belegt, dass Vietnam auf seinem sozialistischen Weg als einstiges Agrarland zu einer modernen Industrienation aufgestiegen ist. Mit jährlichen Wachstumsraten von sechs bis acht Prozent ist  seine Wirtschaft die stärkste im gesamten südostasiatischen Raum.

Laut dem Forschungsinstitut Statista betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2002 rund 550 US-Dollar, 2019 waren es bereits mehr als 3.400 US-Dollar. Das wird u. a. auf gestiegene Durchschnitts- und Mindestlöhne sowie eine niedrige Inflationsratezurückgeführt.

Während in den meisten Ländern der dritten Welt Hunger und Elend herrschen, haben die Vietnamesen ein bescheidenes aber besseres Leben, die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ist gewährleistet. Der Jugend stehen alle Möglichkeiten der Bildung offen. Allein Ho-Chi-Minh-Stadt, die von zwei auf fast acht Millionen Einwohner anwuchs, verfügt über 50 Universitäten und Hochschulen.

Ich habe keine Zweifel, dass die Menschen dem ersten Mann der Partei zustimmen werden, der erklärt, auf dem Weg  des Aufbaus einer Gesellschaft fortzuschreiten, „die wirklich für den Menschen da ist, nicht für Ausbeutung und Entmenschlichung um des Profits willen“. In der es um „sozialen Fortschritt und Gleichberechtigung“ geht, in der „Mitgefühl, Solidarität und gegenseitige Unterstützung für fortschrittliche und humanistische Werte stehen“. Beispielhaft  war und ist in diesem Zusammenhang auch der Umgang mit der Coronapandemie zu erwähnen, die Vietnam so gut wie nur wenige andere Länder überstanden hat.  

Ich möchte ein Wort zum Beitrag, den die SRV zur Entwicklung der  Kooperation zwischen den Staaten Asiens auf friedlicher und gutnachbarlicher Basis leistet, einfügen. Davon zeugte im November 2017, dass sie in Da Nang das Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) ausrichtete. 2019 Gastgeber des zweiten (gescheiterten) Gipfeltreffens der Präsidenten der USA und der KVDR, Donald Trump und Kim Jong Un war. Im Juni 2020 richtete sie in Hanoi per Video-Konferenz den 36. Gipfel der Regierungschefs des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN) aus.

2. Wie ist Ihre Meinung zu den Schwierigkeiten und Herausforderungen, mit denen Vietnam in naher Zukunft auf dem Weg zum Sozialismus konfrontiert werden könnte?

Zunächst gehe ich davon aus, dass Vietnam in Folge der Niederlage des Sozialismus 1989/90 in Europa mit einem Schlag die internationale Basis seiner  wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit ihnen verlor. Um seine Existenz zu sichern, musste Vietnam zur Kooperation mit der kapitalistischen Weltwirtschaft übergehen. Es ging darum, Auslandsinvestitionen zu erschließen, Importe zu sichern und Zugang zu neuen Absatzmärkten zu gewinnen. Andernfalls wäre Vietnam dem Schicksal eines dem Neokolonialismus unterworfenen Entwicklungslandes, seine Menschen der Not und dem Elend, wie in den meisten Ländern der Dritten Welt ausgeliefert worden.

Völliges Neuland betrat Vietnam nicht. Bereits 1986 hatte der VI. Parteitag der KPV einen Kurs der Erneuerung (Doi Moi) beschlossen, der die stärkere Einbeziehung privatkapitalistischer Betriebe in Industrie, Landwirtschaft und im Finanzsektor festlegte. Das geschah vor dem Hintergrund, dass sich zehn Jahre vorher  – ein Jahr nach dem Sieg über die USA-Aggressoren im April 1975 – der sozialistische Norden mit dem kapitalistischen Süden zur Sozialistischen Republik Vietnam vereinigt hatte.

Mit „Doi Moi“ begann eine Dezentralisierung des Bankensystems, die Zulassung privater Geldhäuser, eine marktorientierte Finanzpolitik. Nach  1989/90 folgte der Abschluss einer Vielzahl von bilateralen Verträgen mit ausländischen kapitalistischen Unternehmen, der Beitritt zum Internationalen Währungsfond, zur Weltbank und zuletzt 2019 nach über dreijährigen Verhandlungen das EU-Vietnam Free Trade Agreement, (EVFTA) mit der Europäischen Union. Das musste Beziehungen zu den USA, der führenden westlichen Wirtschaftsmacht, einschließen. Im Rahmen dieser Beziehungen weilte Ende Juli gerade US-Außenminister Lloyd Austin in Hanoi. Ministerpräsident Minh Chinh, der Austin empfing, bekräftigte danach den bekannten Standpunkt, dass Vietnam eine „konsequente Außenpolitik der Unabhängigkeit“ verfolgt und Grundlage seiner „Partnerschaft mit den USA“ ist, „zum Wohle des Friedens, der Stabilität und der Entwicklung in der Region und der Welt“ beizutragen. Kritische Bemerkungen von linker Seite, zum Besuch sehe ich als völlig unbegründet.

Ich möchte hier einflechten, dass ich in dieser Kooperation auch einen von Ho Chi Minh in die internationale Politik eingebrachten vertretbaren Pragmatismus sehe. Dafür ein Beispiel aus der Zeit der Gründung der DRV. In den Auseinandersetzungen mit Frankreich um die Anerkennung ihrer staatlichen Unabhängigkeit ging er bis an die Grenze der Kompromissbereitschaft und war sogar bereit, bei der Anerkennung der Souveränität den vietnamesischen Staat in der Französischen Union zu belassen.

Auf diesem schwierigen und steinigen Weg musste Vietnam Kompromisse eingehen, zum Beispiel den Schutz ausländischer Investitionen gewähren, dem Umgang mit neoliberalen Essentials wie dem geistigen Eigentum zustimmen,  Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) berücksichtigen, ebenso - wie im Abkommen mit der EU – dem Abbau von  99 Prozent der Zölle akzeptieren oder die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. Für Vietnam war entscheidend, dass es mit dem Abkommen mit der EU seine Position als ihr zweitgrößter Handelspartner aus dem Verband der Association of South East Asian Na­tions (ASEAN) ausbauen kann. Für das Ausmaß dieser Position spricht, dass Vietnam schon vorher, d.h., 2018, Waren und Dienstleistungen im Wert von über 35 Milliarden Euro in EU-Länder, darunter neben Kleidung vor allem Mobiltelefone und Ersatzteile, exportierte und von dort Waren im Volumen von über zehn Milliarden Euro importierte. Die vietnamesischen Exporte in die EU liegen damit um nur zehn Milliarden Euro unter dem, was die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay 2018 zusammen in die EU ausführten. Das ist  auch ein Beispiel dafür, dass Vietnam keineswegs ein Rohstofflieferant ist, sondern ein wichtiger Produktionsstandort, so für Elektrogeräte und Elektronik oder Textilien für EU-Länder.

In dieser engen wirtschaftlichen und auch wissenschaftlich-Technische Kooperation versuchten die Wirtschaftspartner immer wieder, unterstützt von ihren Regierungen, dem privat-kapitalistischen Sektor in Vietnam ein Übergewicht über den gesellschaftlich vorherrschenden zu verschaffen, um den sozialistischen Weg zu unterminieren. Hier ist hervorzuheben, dass Vietnam in der Kooperation mit dem Auslandskapitel, immer alle Versuche, seine wirtschaftliche Souveränität einzuschränken und  die Kommandogewalt über  seine Wirtschaft anzutasten, zurückgewiesen hat. Dass Vietnam hierweiterhin  nicht nachgibt, sehe ich als eine entscheidende Garantie, des erfolgreichen Vorwärtsschreitens auf seinem sozialistischen Weg. 

Die notwendige Zusammenarbeit mit der Welt des Kapitals führt den Menschen, die in sie eingebunden sind, täglich vor Augen, dass wie Phu Trong ausführt, der „freie Markt“ des Kapitalismus keine sozialen Probleme lösen“, sondern das nur auf dem „Weg zu einer von Ausbeutung freien Gesellschaft“ erfolgen kann.

Nicht zu übersehen ist, dass als Resultat dieser Zusammenarbeit in Vietnam bis dahin nicht gekannte Praktiken aus der Welt des Kapitals wie die Korruption Fuß fassten. Dass die KP Vietnams dem einen schonungslosen Kampf angesagt hat, bezeugt, dass Phu Trong das zur „Chefsache“ erklärt und persönlich unter seine Kontrolle gestellt hat.

Man muss also, um noch einmal auf Ihre Frage zurückzukommen, damit rechnen, dass derartige Schwierigkeiten und Herausforderungen eher noch wachsen werden.

3. Was ist Ihrer Meinung nach Grundlage der weiteren Entwicklung Vietnams und sollte diese schneller und nachhaltiger vor sich gehen?  

Zunächst einmal meine ich, dass es nicht darauf ankommt, das Tempo zu steigern. Das hat auch der XIII. Parteitag im Januar 2021 bestätigt, auf dem 1.587 Delegierte als Vertreter von 5,1 Millionen Mitgliedern die mittel- und langfristige sozioökonomische Entwicklung des Landes für den kommenden Fünfjahreszeitraum berieten. Aus meiner Sicht verdeutlichen die Beratungen und Beschlüsse, wie auch im Beitrag von Phu Trong ausgeführt wird, dass der Bildung und Ausbildung sowie der Nutzung von Wissenschaft und Technologie  weiter große Bedeutung gewidmet wird. Das sehe ich u. a. dadurch belegt, dass an der Spitze der vor dem Parteitag in 22 Provinzen neu gewählten Leitungen   Parteisekretäre stehen, die ein Studium, meist in Ökonomie, Maschinenbau, auch Philosophie und Jura absolviert haben oder Biologen und Chemiker sind. Nicht zu übersehen ist, dass Frauen unterrepräsentiert sind.

Die beratene Perspektive eines sozialistischen Vietnam geht also weit über die nächsten fünf Jahre (des neuen 5-Jahr-Planes) hinaus. Als Bezugsdatum wird 2030 der 100. Jahrestag der Gründung der KP am 3. Februar 1930 genannt, bis zu dem Vietnam ein „Entwicklungsland“ mit moderner Industrie und einem gehobenen Einkommensniveau werden soll.

Der Kongress bekräftigte die „sozialistische Marktwirtschaft“ im Rahmen des wirtschaftlichen Wachstums und ökonomischer Prosperität fortzusetzen, was  keine Abkehr vom Ziel, den Sozialismus in Vietnam aufzubauen, bedeute. Auch in dieser Zielsetzung zeigt sich, dass die Partei sich in der Tradition von Ho Chi Minh befindet, den revolutionäre Geduld auszeichnete.

Die entscheidende Grundlage der Fortsetzung des sozialistischen Weges sehe ich darin, die führende Rolle der KPV zu behaupten und auf allen Gebieten  in enger Verbindung mit den Menschen zu verwirklichen. Das muss einschließen, auch in Zukunft alle aus dem Ausland kommenden Versuche, die Rolle der Partei herab zu setzen oder gar zu beseitigen, entschieden zu verhindern. Phu Trong, der auf dem XIII. Parteitag bei der Wahl der leitenden Organe für eine dritte Amtszeit bestätigt wurde,  hat klar westliche Forderungen nach einem Mehrparteiensystem, wie es der Westen praktiziert zurückgewiesen und es  als das charakterisiert, was es „tatsächlich“ ist: „eine Diktatur der kapitalistischen Kartelle“.

Vietnam verfügt in seiner kommunistischen Partei über eine im wahrsten Sinne  des Wortes kampfgestählte Vorhut. Mit ihr haben seine Menschen in der Vergangenheit immer auch schwerste Prüfungen der Geschichte bestanden. Das vermittelt die Gewissheit, dass es den beschrittenen Weg, auch wenn die  Schwierigkeiten noch anwachsen sollten, was zweifellos der Fall sein dürfte, fortsetzen wird. Dazu wird das im Volk tief verwurzelte revolutionäre Erbe Ho Chi Minhs beitragen, seine  im Widerstandskampf zur Verteidigung  der Unabhängigkeit vermittelten Lehren. Der Fleiß, die Schaffenskraft und der Erfindergeist seiner Menschen, ihr Idealismus, verbunden mit der  Fähigkeit der Partei, die Kräfte, auch die eigenen, richtig einzuschätzen, die Geduld, den richtigen Moment für das Handeln zu wählen und nicht zuletzt, Fehler zu erkennen und zu korrigieren.

Ich selbst möchte sagen, dass ich davon überzeugt bin, dass Vietnam und seine Menschen ihrer Partei folgen und den Weg zum Sozialismus fortsetzen werden. Darin bestärkt mich, dass ich mit meiner Frau über drei Jahre Ihren aufopferungsvollen heldenhaften Kampf erleben konnte.

In diesem Sinne möchte ich zum Abschluss den Menschen Vietnams herzliche Grüße und alle guten Wünsche auf diesem Weg und im persönlichen Leben und in der Familie übermitteln.

Herr Gerhard Feldbauer, vielen Dank für das Interview!

Gerhard Feldbauer war mit seiner Frau, Foto-Reporterin Irene Feldbauer, von 1967 bis 1970 als Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN der DDR in Hanoi tätig und berichtete über Vietnam, Laos und Kambodscha. Danach war er von 1973 bis 1979 für ADN in Rom. Er promovierte in Geschichte Vietnams (Die Sowjets in Nghe Tinh 1930/31) und habilitierte sich in italienischer Geschichte (zum Faschismus). 1980 wechselt er in den Diplomatischen Dienst und war Botschafter in Zaire (heute wieder Demokratische Republik Kongo), in Burundi und Ruanda. Von 1987 bis 1990 war er als Dozent am Institut für Internationale Beziehungen tätig und bis 1988 Leiter der Ausbildung von Botschaftern. Er hat 15 Bücher verfasst, davon vier zu Vietnam, sowie zahlreiche Broschüren, darunter 2020 „Vor 75 Jahren siegte in Vietnam die Augustrevolution“. 

Feedback